Häufig gestellte Fragen zum Thema Autismus und Asperger:
Diese Begriffe meinen zum Teil dasselbe, zum Teil sind es Überbegriffe. Unter Autismus versteht man eine Gruppe von Entwicklungsstörungen, die den sogenannten Tiefgreifenden Entwicklungsstörungen zugeordnet werden. Der Begriff wurde ursprünglich im Zusammenhang mit der Schizophrenie erfunden. Beschrieben wurde damit der starke Selbstbezug betroffener Personen, bei gleichzeitig weitgehender Abkehr von der Umwelt. Relativ bald aber, wurde der Begriff nicht mehr im Zusammenhang mit der Schizophrenie verwendet, sondern auf eine Gruppe miteinander verwandt wirkender Störungen, eben jener tief greifenden Entwicklungsstörungen bezogen. Man hat dieser Gruppe von Störungen im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte mehrere „Einzelstörungen“ zugeordnet und Kriterien definiert um sie voneinander zu unterscheiden.
In der Zwischenzeit erkennt man zunehmend, dass diese Unterschiede nicht so wichtig sind, als dass sie unterschiedliche Störungen begründen würden. Man spricht von einem Autismusspektrum (Autismusspektrum Störungen- ASS) um zu verdeutlichen, dass unterschiedliche Verlaufsformen fliessend ineinander übergehen. Dabei geht man davon aus, dass es sich um eine Gruppe von Störungen mit prinzipiell gleichen Kernstörungen handelt, dass diese aber unterschiedlich ausgeprägt sein können und so auf den ersten Blick oft sehr unterschiedlich wirken können. Innerhalb des Spektrums kommen schwer behindernde Verlaufsformen (zum Beispiel der Frühkindliche Autismus – früher Kanner- Autismus) vor, aber auch leichtere Formen bei denen die Betroffenen viele Alltagssituationen und vor allem auch schulische und berufliche Situationen gut bewältigen können. Diese Verlaufsformen bezeichnet man als Hochfunktionsautismus.
Eine wichtige Bedeutung innerhalb des Spektrums hat also die psychosoziale Leistungsfähigkeit, beziehungsweise die daraus resultierende Anpassungsfähigkeit. Diese hängt vor allem von der Intelligenz ab und davon, wie gut jemand sprechen kann. Bei den Hochfunktionsformen des Autismusspektrums ist die Intelligenz zumindest durchschnittlich und das Sprachniveau hoch. Am bekanntesten ist hier das Asperger Syndrom. Beim Asperger Syndrom ist der formale Spracherwerb unauffällig und die kindliche Sprachentwicklung erfolgt zeitgerecht. Es gibt aber Verlaufsformen des Autismusspektrums, bei denen die Sprachentwicklung in der Kindheit verzögert war, die Verzögerung bis ins Erwachsenenalter jedoch kompensiert wurde. Für diese Verlaufsform fehlt in der deutschen Sprache eine geeignete Benennung, weswegen dafür gelegentlich der englische Begriff High Functioning Autism (HFA) verwendet wird.
Die nachfolgenden Ausführungen gelten prinzipiell für das gesamte Autismusspektrum. Sie beziehen sich jedoch besonders auf die hoch funktionalen Formen des Autismusspektrums, da die schwereren Formen praktisch immer in der Kindheit erkannt werden und ihre Diagnostik im Erwachsenenalter weniger von Bedeutung ist.
Das Autismusspektrum wird durch 3 „Kernsymptome“ definiert:
1. Qualitative Störung der gegenseitigen sozialen Interaktion. Gemeint ist, dass die Aufnahme und die Aufrechterhaltung, gegenseitig befriedigender Beziehungen, stark erschwert oder aufgehoben ist. Entgegen einer häufigen jedoch irrtümlichen Annahme, suchen ASS Betroffenen nicht die Isolation. Sie wünschen sich vielmehr durchaus soziale Kontakte und nicht wenige führen eine Beziehung. In der Regel haben es betroffene jedoch deutlich schwieriger, sich so zu verhalten dass auch viele andere Personen dauerhafte Beziehungen mit ihnen Wünschen. Oft wünschen sich die Betroffenen auch gar nicht einen grossen Freundes/Bekanntenkreis sondern sind mit ganz wenigen besonderen zufrieden, mit denen sie ihre Interessen teilen können. Die Vereinsamung kann dann eintreten, wenn man diese Bezugspersonen verliert. Der Grund für diese Beeinträchtigung der Beziehungsfähigkeit liegt offensichtlich vor allem darin, dass ASS Betroffene die Wünsche, Vorlieben und Interessen anderer Personen, sowie ihre Motive kaum wahrnehmen, beziehungsweise verstehen können. Was sie deswegen oft gar nicht merken ist, dass andere Menschen andere Bedürfnisse haben und es ihnen nicht gelingt so auf andere einzugehen, dass sich diese verstanden und angenommen fühlen. Sehr oft wenden sich die anderen daher von den Betroffenen ab. Diese Auffälligkeit hängt engt mit dem Begriff der Störung der Theory of Mind zusammen.
2. Störung der Kommunikation. Das Autismusspektrum geht immer mit einer Störung der Kommunikationsfähigkeit einher. Während die Betroffenen schwererer Formen, namentlich des frühkindlichen Autismus die gesprochene Sprache oft kaum erlernen, ist die Entwicklung der formalen Sprache beim Asperger Syndrom erst einmal unauffällig. Die Kommunikationsstörung zeigt sich hier durch eine Störung der Wahrnehmung, des Verständnisses und verminderten Gebrauch nichtverbaler Kommunikationsmittel, also von Mimik, Gestik, Körperhaltung dem Tonfall und weiteren. Diese sind jedoch für das Verständnis jeder Kommunikation und verlässlich. Besonders wichtig sind sie in direkten Gesprächen mit anderen Personen, hier müssen sie sehr schnell verarbeitet und beantwortet werden. Etwas weniger von Bedeutung sind sie bei schriftlicher Kommunikation. Wahrscheinlich ist dies einer der Gründe, warum Betroffene sehr gerne über Chats und ähnliche internetbasierte Informationskanäle kommunizieren. Meistens ebenfalls gestört ist beim Autismusspektrum, die Fähigkeit Metaphern zu verstehen, also Aussagen die im übertragenen Sinn gemeint sind und bei denen oft das Gegenteil von dem gemeint ist, was gesagt wird. Dies bezeichnet man als Hyperkonkretismus und es führt regelmässig zu zum Teil sehr unangenehmen Missverstä ndnissen. Insbesondere in der Kindheit und Jugend führen diese Missverständnisse dazu, dass betroffene Zielscheiben von Sport werden. In selteneren Fä llen finden sich weitere Auffälligkeiten der Kommunikation, so beispielsweise die Schwierigkeit pro Normen richtig zu verwenden. Betroffene Personen sprechen oft über sich selbst in dem sie den Namen nennen oder „er bzw. sie“ sagen, obwohl ich richtige wäre.
3. Begrenzte, repetitive und stereotype Verhaltensmuster, Interessen und/oder Aktivitäten. Je schwerer eine Störung des Autismusspektrums ausgeprä gt ist, umso deutlicher sind hier motorische Auffälligkeiten. Besonders oft kommt es zu repetitiven (sich häufig wiederholenden) Bewegungen des Oberkörpers, der Hände, vor allem bei Aufregung. Bei den höher funktionalen Formen treten solche motorischen Auffälligkeiten seltener in Erscheinung. Hier findet sich sehr viel häufiger eine starke Einengung der Interessen und der dadurch bestimmten Aktivitäten. Nicht selten geht diese Einengung soweit, dass von Sonderinteressen gesprochen wird. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn sich betroffene für Teilaspekte bestimmter Sachen interessieren (beispielsweise nur für die Jahreszahlen bestimmter Ereignisse, ohne sich gleichzeitig für andere wichtige Aspekte dieser Ereignisse zu interessieren). In der schulischen Laufbahn zeigt sich diese Einengung nicht selten dadurch, dass betroffene in einem Fach sehr gut sind (meist
Naturwissenschaften, oder Erdkunde) während sie für andere Gebiete kaum Motivation aufbringen können und deswegen keine guten Leistungen erbringen können. Dieses Phänomen zeigt sich sehr viel stärker noch in der Freizeit, wenn betroffene sehr viel Zeit mit ihren starken Interessen verbringen und sich dadurch zusätzlich von den Spielen und Aktivitäten anderer isolieren. Im Gewissen, jedoch seltenen Fällen haben die Betroffenen Glück und entwickeln Sonderinteressen in Bereichen die von der Gesellschaft honoriert werden. Diese Personen können in der Gesellschaft sehr erfolgreich werden.
Dies sind die die „offiziellen“ Kriterien der Autismusspektrum Störungen. Zusätzlich werden gegenwärtig weitere Auffälligkeiten diskutiert. Betroffene Leiden nicht selten unter veränderten Sinneswahrnehmungen. Insbesondere Überempfindlichkeit gegenüber Berührungen, Geräuschen und oft auch Temperatur kommt häufig vor. Diskutiert werden auch Auffälligkeiten der Fantasie. Inwieweit es sich hier um eigenständige Merkmale des Autismusspektrum im Sinne von Symptomen handelt ist allerdings umstritten.
Die genauen Ursachen sind bis heute nicht bekannt. Eindeutig widerlegt ist jeglicher Zusammenhang mit Impfungen und ähnlichen Einflüssen. Klar verneint werden kann im Übrigen auch die Frage ob Autismusspektrum Störungen zunehmen würden. Dies ist gemäss aller ernstzunehmenden Studien nicht der Fall, was hingegen erfreulicherweise zu einer Zunahme der gestellten Diagnosen führt, ist der höhere Bekanntheitsgrad, insbesondere der hochfunktionalen Autismus Formen. Diese wurden früher oft mit anderen Störungen, insbesondere den sogenannten Persönlichkeitsstörungen verwechselt.
In den vergangenen Jahrzehnten wurden unterschiedliche Theorien aufgestellt, um die Entstehung von Autismusspektrum Störungen zu erklären. Praktisch alle hatten den Nachteil, dass sie immer nur bei einem gewissen Teil der Betroffenen zutrafen und daher als Erklärung des Spektrums an sich nicht geeignet waren. Gegenwärtig geht man davon aus, dass dem Autismusspektrum Merkmale der Wahrnehmung, des Denkens und des Verhaltens zugrunde liegen, die in der Regel wesentlich schwächer ausgeprägt auch sonst bei Menschen vorkommen. Im Prinzip geht man damit davon aus, dass das Autismusspektrum nicht für sich
genommen als Phänomen existiert sondern dass die leichteren Formen übergangslos in die „Normalität“ übergehen. Diese seit langen am besten etablierte Theorie des Autismusspektrums kennt man üblicherweise unter dem Begriff Extrem Male Brain Theory. Sie besagt vereinfacht, dass sich ASS Betroffene in den Bereichen von nicht Betroffenen unterscheiden, in denen sich die Wahrnehmung, das Denken und das Verhalten von Männern gegenüber Frauen unterscheidet. Es ist wichtig zu betonen, dass sich solche Unterschiede stets auf grosse Gruppen von Frauen gegenüber grossen Gruppen von Männern beziehen und nie auf einzelne individuellen. Das heisst dass es durchaus vorkommt und der Theorie keinesfalls widerspricht, wenn die nachfolgend dargestellten Eigenschaften mal bei einer Frau stärker ausgeprägt sind als bei einem Mann. Entscheidend ist, dass die fragliche Eigenschaft bei der Mehrheit der Männer stä rker ausgeprägt ist als bei der Mehrheit der Frauen.
Dieses Modell geht von zwei Annahmen/Erkenntnissen aus.
1. Die Wahrnehmung, das Denken und das Verhalten von Frauen und Männern unterscheiden sich voneinander. Diese Unterschiede betreffen die folgenden Bereiche.
2. Es gibt neben diesen klinischen Auffälligkeiten, weitere durchaus überzeugende Hinweise für die Richtigkeit der Extreme Male Brain Theory. Man hat beispielsweise festgestellt das bei Vorfahren von ASS Betroffenen oft über mehrere Generationen die sogenannten männlichen Interessen von Generation zu Generation zu nehmen. Dies kann am besten anhand der Berufsanamnese der Vorfahren geschlussfolgert werden. Der Erhebung der Familiengeschichte und der eigenen Entwicklungsgeschichte kommt daher im Rahmen der Diagnostik eine sehr wichtige Bedeutung zu.
Man hat zudem festgestellt, dass die Anzahl und Intensität der typischen autistischen Verhaltens-und Erlebensweisen zunimmt, je höher die Konzentration des männlichen Geschlechtshormons (und zwar des Teils der vom Fötus selbst hergestellt wird) im Fruchtwasser war. Im Übrigen gilt dieser Zusammenhang auch für einen der zentralen, bei der Diagnosestellung eingesetzten Fragebögen.
Die Extreme Male Brain Theory bedeutet nicht, dass vom Autismus nur Jungs beziehungsweise Männer betroffen sind. Auch bei Mädchen beziehungsweise Frauen können als die Einflüsse, auch die nur teilweise bekannten genetischen Einflüsse eine Rolle spielen. Passend zu dieser Theorie ist aber, dass das Autismusspektrum bei Männern häufiger auftritt als bei Frauen.